Hintergrund und Motivation
Seit den 1990er Jahren werden große Nichtwohngebäude, wie Bürogebäude, Universitäten, Krankenhäuser, Flughäfen, Messehallen oder Schulzentren, zunehmend mit digitalen Gebäudeautomationssystemen ausgestattet. Diese Systeme setzen zahlreiche Sensoren und Aktoren ein, die eine Überwachung und Steuerung energetischer Systeme innerhalb der Gebäude ermöglichen. Allerdings sind die von diesen Systemen generierten Daten und Funktionen in vielen Fällen schwer interpretierbar, da die Kennzeichnung dieser Systeme heterogen ist. Verschiedene Kennzeichnungs- und Adressierungssysteme (BAS) verwenden uneinheitliche Bezeichnungen, die sich in Länge, Format und Kürzeln unterscheiden.
Die Gründe für diese Diskrepanz liegen vor allem in einem Mangel an Standardisierung, in früher fehlenden technischen Möglichkeiten sowie in der Einbindung unterschiedlicher Planer, Anlagenbauer und Fabrikate während der Bauphasen. Diese Faktoren führten zu proprietären und isolierten Kennzeichnungssystemen, die bis heute bestehen.
Die fehlende semantische Interoperabilität der Daten führt dazu, dass Gebäude energetisch nicht optimal gesteuert werden können. Studien schätzen ein Energieeinsparpotenzial von bis zu 25 %, das durch eine bessere Auswertung und Nutzung dieser Daten realisiert werden könnte. Ein signifikanter Beitrag zur Energiewende bis 2045 liegt somit in der Schaffung einer technischen Grundlage zur energetischen Optimierung des Bestands n Nichtwohngebäuden unter Berücksichtigung bestehender Technologien. Ein Bericht der Europäischen Kommission in Zusammenarbeit mit McKinsey (2021 GLOBAL STATUS REPORT FOR BUILDINGS AND CONSTRUCTION) zeigt, dass 85 % bis 95 % der heutigen Gebäude noch im Jahr 2050 bestehen werden. Dies verdeutlicht die Dringlichkeit dieser Aufgabe.
Ziele der Studie
Ziel der beantragten Studie ist die Evaluierung der technischen Machbarkeit eines universellen Übersetzungssystems für bestehende BAS (Benutzeradressierungssysteme) in Form einer Softwarelösung („Universeller BAS-Interpreter“). Diese Software würde es ermöglichen, die BAS in Bestandsgebäuden interpretierbar zu machen, insbesondere im Hinblick auf die Überprüfung energetisch relevanter Funktionen und die kontinuierliche Erkennung und Korrektur von Fehlern.
Darüber hinaus soll im Rahmen der Studie untersucht werden, ob es bereits internationale Ansätze für derartige Übersetzungslösungen gibt. Aktuell sind keine entsprechenden Ansätze bekannt. Zudem wird eine tiefgehende Analyse internationaler Ontologien durchgeführt, die für die Weiterverarbeitung standardisierter Kennzeichnungssysteme infrage kommen könnten. Besonders vielversprechend erscheinen derzeit die Open-Source-Ontologien „Brick“ und „RealEstateCore“, wobei Letztere auch von Microsoft unterstützt wird. Ein erfolgreicher „BAS-Interpreter“ könnte zukünftig ein integraler Bestandteil des Building Information Modeling (BIM) sowie zahlreicher Softwarelösungen im Gebäude-, Facility- und Assetmanagement werden. Er könnte als Softwarekomponente oder Software-as-a-Service in einem breiten internationalen Anwendungsspektrum zum Einsatz kommen.
Methodik
Eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung eines universellen BAS-Interpreters ist die Evaluierung moderner Methoden zur Datenaufbereitung und Analyse der unterschiedlichen Kennzeichnungssysteme in Bestandsgebäuden. Insbesondere der Einsatz von Verfahren der Künstlichen Intelligenz (KI) zur Mustererkennung spielt dabei eine zentrale Rolle. Hierfür bieten sich Technologien wie Natural Language Processing (NLP), statistische Methoden, maschinelles Lernen (ML) und Clustering-Algorithmen an. Besonders der Bereich des NLP hat sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt und bietet vielversprechende Ansätze, die auch im Kontext der technischen Gebäudeausrüstung anwendbar sind. Moderne Modelle, wie die auf der Transformer-Architektur basierenden Systeme (bspw. ChatGPT), kombinieren allgemeines Pre-Training mit anwendungsspezifischem Fine-Tuning und besitzen großes Potenzial, um heterogene Daten in technischen Systemen zu verarbeiten.
Die Herausforderung der Verarbeitung heterogener BAS-Systeme fällt in den Bereich der semantischen Interoperabilität, da die Informationen semantisch interpretiert werden müssen, um technische Systeme interoperabel miteinander interagieren zu lassen. Eine theoretische Grundlage liefert die Dissertation von Dr. Maximilian Both, veröffentlicht im Juni 2024 an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, mit dem Titel „Semantische Interoperabilität digitaler Zwillinge als Basis für automatisierte Erkundungsmechanismen“. Dr. Both, Geschäftsführer der Entendix GmbH aus Bonn, wird im Rahmen dieser Studie spezifische Teilaufgaben übernehmen. Der Erfolg des KI-Einsatzes wird daran gemessen, ob es gelingt, die Logik der bestehenden Adressierungssysteme durch automatische Analyse zu erfassen und in ein einheitliches, digitalisierungstaugliches Zielkennzeichnungssystem zu überführen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der vollständigen Automatisierung, sodass manuelle Eingriffe bei der Integration der Daten in Zielsysteme vermieden werden. Die besondere Herausforderung besteht darin, dass eine Vielzahl proprietärer BAS berücksichtigt werden muss, und auch Systeme, die nicht im Training der KI-Modelle enthalten sind, im Betrieb verarbeitet und korrekt auf das Zielkennzeichnungssystem abgebildet werden können.
Die Studie wird in enger Zusammenarbeit mit der Entendix GmbH durchgeführt, die auf den Forschungsergebnissen von Dr. Both aufbaut. In seiner Dissertation hat Dr. Both KI-Methoden erfolgreich weiterentwickelt, um einzelne technische Aggregate wie Pumpen oder Lüfter aus Adressierungssystemen zu erkennen und diesen spezifischen Gewerken zuzuordnen. Dabei hat er Transformer-Modelle aus dem NLP-Bereich verwendet und weiterentwickelt, um die automatisierte Interaktion technischer Systeme ohne vorherige manuelle Abstimmung zu ermöglichen. Seine Arbeit basiert auf Daten des weit verbreiteten BACnet Kommunikationsprotokolls, das vor allem in Neubauten Anwendung findet. Für eine breite Marktakzeptanz eines universellen BAS-Interpreters ist es jedoch entscheidend, eine allgemeingültige Methodik zu entwickeln, die auch in Bestandsgebäuden mit proprietären und teils willkürlich festgelegten Adressierungssystemen funktioniert und somit langfristig eine umfassende Lösung für den Gebäudebestand darstellt.
Ein erster Test hat gezeigt, dass eine Konvertierung von heterogenen BACnet-Datenpunkten in ein Zieladressierungssystem grundsätzlich möglich ist. In einem Pilotprojekt wurde das BACtwin-Benutzeradressierungssystem verwendet, welches im April 2024 vom Arbeitskreis Maschinen- und Elektrotechnik staatlicher und kommunaler Verwaltungen (AMEV) als Empfehlung veröffentlicht und vom Bundesbauministerium als verbindlicher Erlass für Bundesbauten eingeführt wurde. Die Vorstellung eines Mockups eines Konverters auf der von ICONAG und AMEV organisierten BACtwin-Tagung im Gutenberg Digital Hub in Mainz am 24. September 2024 stieß auf großes Interesse bei den rund 90 Teilnehmenden. Ein solcher Konverter würde die Digitalisierung von Aufgaben im Technischen Gebäudemanagement, wie das technische Monitoring, erheblich erleichtern, insbesondere in Bestandsgebäuden
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